•• judith und ueli in mpanshya ••

 

 

 

 

 

 

Auf der Suche nach Antworten

 

Zwei Monate Sambia, drei Wochen bei Judith und Ueli Gnehm in Mpansyha: Was bleibt? Erzählungen und Gedanken eines Volontärs in der Entwicklungszusammenarbeit.

Von Raphael Marti

Meine Ankunft bei Judith und Ueli hat sich angefühlt, wie eine Rückkehr ins Vertraute. Der im sambischen Vergleich hohe Lebensstandard, das gepflegte Haus, der schöne Garten, die Mentalität und das Essen - alles so anders, als noch wenige Stunden zuvor in Lusaka, bei der sambischen Familie, bei der ich meine ersten fünf Wochen in Afrika verbracht habe. Plötzlich gab es hier am Sonntagabend "Spaghetti Bolognese". Nach Wochen "Nshima", der sambischen Nationalspeise, eine Art Maisbrei, gegessen mit unterschiedlichen Zutaten, wie Fisch, Fleisch oder auch nur gehackten Rapsblättern, ein wirkliches Festmahl. Zum Dessert gab es Meringue aus der Mulele-Bäckerei und der Abend wurde echt schweizerisch mit einem Jass abgerundet.

Magenbrot im afrikanischen Busch

Bereits der nächste Morgen hatte weitere Überraschungen zu bieten. Das Tagesangebot der Bäckerei bestand heute aus Zopf, verschiedenen Broten, Baguette, frischen Berlinern und Magenbrot. Gebacken wurde in einem selbst gebauten Holzofen, bei bis zu 300 Grad Celsius. Unter der Leitung von Pricilla, die während den letzten beiden Monaten vom Schweizer Konditormeister Giordano Bottignole ausgebildet wurde, lief die Backstube auf Hochtouren. Selbstverständlich war auch Judith omnipräsent und gerade wurde die Werbetafel mit "Best Bread of Zambia" beschriftet.

Draussen wartete bereits die erste Aufgabe auf mich. Das Bewässerungssystem des Kühlschrankes musste installiert werden. Dieser "Kühlschrank" besteht, nach indischem Vorbild, aus zwei Reihen Lehmziegeln, feuchtem Sand im Zwischenraum, einem isolierten Deckel und einem Strohdach als Schattenspender. Die unter der Bauleitung von Ueli errichtete Konstruktion schafft Erstaunliches: die Margarine lagert nun bei durchschnittlich 20 Grad Celsius und dies bei einer Aussentemperatur von momentan 45 Grad Celsius.

Rauchende Köpfe im Training Center

Im Training Center rauchten spätestens während meiner zweiten Woche in Mpansyha die Köpfe. Grund dafür war nicht (nur) die brütende Hitze im Schulungsraum, sondern mein Computer-Einführungskurs für die aktuell elf Lehrlinge des TCM. Für einige der Schreiner- und Metallbauazubis war es der erste Kontakt mit diesem elektronischen Gerät überhaupt. Die teilweise ängstlichen ersten Tippversuche und Bewegungen mit der Computermaus, haben hoffentlich nicht nur bei mir, sondern vor allem bei meinen Schülern einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Während des Unterrichts war natürlich viel Geduld, aber primär auch ein guter Englischdolmetscher gefragt - meiner Meinung nach erschreckend, in einem Land mit Englisch als Amtssprache. Allgemein scheint das sambische Schulsystem schlecht organisiert zu sein. Auch die tägliche Abrechnung in der Bäckerei, bestehend aus einfachsten Additionen und Multiplikationen, stellt für die sambischen Kollegen eine grosse Herausforderung, wenn nicht ein unlösbares Problem dar. Unweigerlich stellt sich hier die Frage der Verantwortung. Grundsätzlich ist es sicher die Aufgabe der Regierung, ein funktionierendes Bildungssystem auf die Beine zu stellen. Die Sambierin Dambisa Moyo stellt in ihrem Buch "Dead Aid - Why aid is not working and how there is another way for Africa" aber fest, dass dies für die von alltäglicher Korruption durchsetzte Führung des Landes, keine Priorität zu haben scheint. Lieber bereichert sie sich selbst an den wenigen Steuereinnahmen des Landes. Dasselbe geschieht auch mit den Milliarden westlicher Entwicklungsgelder, die seit Jahrzehnten nach Afrika fliessen. Der Löwenanteil verschwindet in den privaten Taschen korrupter Regierungsmitglieder oder anderer "Big Men".

Rückschläge im Kampf gegen HIV/Aids

Neben der allgegenwärtigen Korruption sind meiner Ansicht nach auch die vielerorts rückständigen Kirchenvertreter und -Meinungen für die nur schleppende Entwicklung der sambischen Wirtschaft und Gesellschaft verantwortlich. Auch die seit Jahrzehnten in Mpanshya tätigen Missionsschwestern, bekunden oft Mühe, auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts angepasst zu reagieren. Der Kampf gegen HIV/Aids wird schwerlich zu gewinnen sein, wenn die von westlichen Hilfsorganisationen geliefert Kondome regelmässig verbrennt werden. Hier sind die Kirchen noch jeden Sonntag prall gefüllt. Man stelle sich das Potential für Entwicklung und Veränderung vor, würden Sonntags die entsprechenden Botschaften von der Kanzel überbracht...

Viele Fragen bleiben offen

Mein zweimonatiges Eintauchen in die Kultur Sambias, der Austausch und das Zusammenleben mit seiner herzlichen Bevölkerung haben mir letztlich aber nur wenige klare Antworten geliefert. Es bleiben vielmehr viele offene Fragen: Was passiert zum Beispiel mit dem Training Center und Mulele, wenn Judith und Ueli, oder BMI das Projekt komplett in die Verantwortung der lokalen Bevölkerung übergeben? Wie nachhaltig ist die heutige Entwicklungszusammenarbeit wirklich? Was haben die Milliarden bereits investierter Hilfsgelder letztlich gebracht, wenn Kinder im Jahr 2012 immer noch barfuss und in schmutzigen Schuluniformen zur Schule gehen, wo sie dann auch noch ungenügend unterrichtet werden? Was haben die ganzen HIV/Aids-Präventionsprogramme bewirkt, wenn das Problem von den Kirchen, aber auch der Bevölkerung grösstenteils einfach ignoriert wird? - Viele offene Fragen also und daher viele Gründe, eines Tages wieder nach Mpanshya in Sambia zurückzukehren und sich auf eine erneute Suche nach Antworten zu begeben.

www.gnehm.info © ueli & judith gnehm